"Ich übergebe die Kontrolle an das Material" - Juliana Maurer über Materialerkundungen und Designprozess
Juliana Maurer ist eine multidisziplinäre Künstlerin und Designerin mit Sitz in Berlin. Ursprünglich Grafikdesignerin, konzentriert sie sich nun auf unkonventionelle Interaktionen mit Materialien. Ihre Arbeiten wurden auf der diesjährigen Mailänder Designwoche gezeigt.
iF: Sie haben als Grafikdesigner angefangen, eher zweidimensional und digital. Wie sind Sie dazu gekommen, mit physischen Materialien zu experimentieren?
Juliana Maurer (JM): Der Startpunkt für mich war, als ich 2017 nach Amsterdam zog, um das temporäre Fine Arts and Design Masterprogramm "Radical Cut-up" am Sandberg Instituut unter der Leitung von Lukas Feireiss zu absolvieren. Es war ein Programm mit dem Fokus auf Zusammenarbeit, experimentelle Formen der kreativen Produktion und Interdisziplinarität.
iF: Auf Ihrer Website schreiben Sie, dass Sie mit einer Mischung aus kontrollierten und unkontrollierten Prozessen Raum für unerwartete Ergebnisse schaffen. Wie finden Sie den Raum für unkontrollierte Prozesse?
JM : Was mich interessiert, sind unkonventionelle Interaktionen mit Materialien, die zu unerwarteten Resultaten führen. Ergebnisse, die ich nicht hätte planen können. Ich mag es, in einem naiven Prozess zu arbeiten, um Ergebnisse entstehen zu lassen, die ich vorher nicht erwarten konnte. Manchmal passieren bei der Arbeit mit einem Material Fehler, und aus diesen Fehlern ziehe ich neue spannende Momente.
Ein weiterer Ansatz von mir ist es, das Material als Hauptakteur und Führer zu betrachten. Wenn ich Glas und Keramik in einer Skulptur kombiniere, kann ich das Ergebnis nur bis zu einem gewissen Punkt kontrollieren. Die Magie geschieht während des Brennvorgangs, wenn das Glas schmilzt und sich mit der Keramik verbindet. Die Aggregatzustände der Materialien werden dabei ausgetauscht und das Glas beginnt zu fließen. Das sind für mich die Momente, in denen wirklich interessante Dinge passieren. Ich gebe die Kontrolle an das Material ab.
Juliana Maurer, Designer & Artist
"Ich überlasse die Kontrolle dem Material"iF: Mit zunehmender Erfahrung wächst auch Ihr Wissen über Materialien. Wie bewahren Sie sich eine spielerische Naivität?
JM: Ich versuche, Wege zu gehen, die ich vorher noch nicht gegangen bin. Das können ganz kleine Details sein: Ich verwende eine Technik, die ich schon einmal verwendet habe, aber mit einem anderen Material. Das Fachwissen, das ich mir angeeignet habe, gilt nur für ein Material oder eine Technik, das heißt, ich kann das bekannte Material oder die Technik einfach durch etwas Unbekanntes ersetzen
iF: Ihr Werk "Stena" thematisiert die Entfremdung des Menschen von der Natur. Sie beschreiben die Arbeit so, dass die Menschen sich einen Teil der Natur nach Hause holen können. Welche Rolle spielt die Nachhaltigkeit in Ihrer Arbeit?
JM : Nachhaltigkeit ist für mich sehr wichtig. Das zeigt sich in der Wahl meiner Materialien. Ich arbeite zum Beispiel viel mit Keramik, einem Material, bei dem nichts verschwendet wird. Die Stücke, die nicht gebrannt werden, können immer recycelt werden, indem man sie in Wasser auflöst. Danach können sie wiederverwendet werden.
Glasuren sind ein Problem für den Recyclingprozess. Aus diesem Grund arbeite ich selten mit Glasuren, so dass auch das fertige Stück wiederverwendet werden kann. Bei der Arbeit mit Glas und Stein, wie bei "Stena", wollte ich einfache Materialien verwenden. Der Stein bleibt in seinem natürlichen Zustand, und das Glas ist nur geschmolzener Sand, der wiederverwertet werden kann, ohne seine Materialeigenschaften zu verlieren. Meine Arbeiten sind eine Mischung aus Kunst- und Designobjekten. Ich bin oft nicht daran interessiert, ein Massenprodukt herzustellen, sondern entscheide mich bewusst für kleine Auflagen und Einzelstücke.
AWitF (Ein Spaziergang im Wald) | Stena
AWitF (Ein Spaziergang im Wald)
2022
A Walk in the Forest ist eine Serie von Keramikskulpturen, die auch als Vasen verwendet werden können. Jedes Stück ist handgefertigt und einzigartig.
Stena
2019
Stena ist eine mundgeblasene Glaskaraffe, die sich die Wärmefunktion des natürlichen Specksteins zunutze macht. Jedes Stück ist handgefertigt und einzigartig.
iF: Welche Trends beobachten Sie im Bereich der innovativen Materialien? Wie wird sich dieser Bereich in Zukunft entwickeln?
JM: Immer mehr Aufmerksamkeit wird alternativen Materialien wie Myzel gewidmet und wie sie in der Massenproduktion eingesetzt werden können. Wir brauchen Materialien, die sich leicht herstellen lassen, ressourcenschonend sind und in großem Maßstab funktionieren. Auch die Verantwortung für die Materialien wird viel mehr bei den Designern liegen, wenn es darum geht, nachhaltige Entscheidungen zu treffen. Wenn wir uns das konventionelle Industrie- oder Produktdesign ansehen, müssen wir uns fragen: Sind die Produkte so hergestellt, dass sie leicht repariert werden können?
Ich denke, diese Fragen werden immer wichtiger, und die Verantwortung kann nicht nur beim Verbraucher liegen, sondern vor allem bei den Menschen, die die Produkte herstellen und entwickeln. Das heißt, Designer und Hersteller.