Echte Nachhaltigkeit und ihre Bedeutung für Design und Designwettbewerbe
Nachhaltiges Design ist längst Wettbewerbsvorteil für Marken geworden. Verbraucher und Konsumenten achten vermehrt auf "grüne" Merkmale von Produkten und Dienstleistungen. Wir von iF wollen mehr tun und haben erstmals zwei Nachhaltigkeitsexperten zur Unterstützung der diesjährigen Jury eingeladen.
"Schon der Bauhaus-Pionier Wilhelm Wagenfeld betonte 1953 in seinem Eröffnungsbrief an iF Design, dass gut gemachte Produkte nicht nur begehrenswerter sind, sondern auch länger halten und recycelt, repariert oder wiederverwendet werden können. Vielen Qualitätsdesigns wohnt also immer auch ein gewisser Sinn für Nachhaltigkeit inne", so Uwe Cremering, CEO von iF Design.
Mittlerweile ist Nachhaltigkeit sogar ein deutlicher Wettbewerbsvorteil, da immer mehr Menschen nachhaltige Produkte und Technologien bevorzugen. Anlässlich des heutigen Weltumwelttages wollen wir genauer hinschauen und haben mit unseren neuen Nachhaltigkeitsexperten - Teun van Wetten von VanBerlo und Daniela Bohlinger von BMW Group Design - darüber gesprochen, was echte Nachhaltigkeit im Design eigentlich ist - wo sie anfängt und wo sie ihre Grenzen hat? Und was das alles für Designer und Verbraucher bedeutet.
iF: Wie sehen Sie die Bedeutung von Nachhaltigkeit im Design und in der Produktentwicklung im Allgemeinen?
Teun : Nachhaltigkeit ist Teil von gutem Design. Wenn Nachhaltigkeit nicht in alle Entstehungs- und Lebensphasen eines Produkts eingebettet und berücksichtigt wird, kann es niemals "gutes Design" sein. Das war schon immer wichtig, aber die Auswirkungen eines falschen Ansatzes werden jeden Tag deutlicher. Die Welt steht vor noch nie dagewesenen Herausforderungen wie dem Klimawandel, wirtschaftlicher Ungleichheit und sozialer Ungerechtigkeit. Die Kluft zwischen Arm und Reich wird immer größer, und viele Menschen haben Mühe, über die Runden zu kommen. Dies führt zu sozialen Unruhen und politischer Instabilität, was tiefgreifende Folgen für unsere globale Gemeinschaft haben kann. Diskriminierung und Ungleichheit aufgrund der Rasse, des Geschlechts, der sexuellen Ausrichtung und anderer Faktoren bestehen weiterhin und halten ein System aufrecht, das einige begünstigt und andere ausgrenzt. Diese Herausforderungen sind komplex, miteinander verknüpft und dringend und erfordern mutige und innovative Lösungen. Die Bewältigung komplexer, miteinander verbundener Herausforderungen mit mutigen und innovativen Lösungen ist das, was uns Designern am Herzen liegt.
Daniela : Nachhaltigkeitsgrundsätze, die im Designprozess angewandt werden, sind entscheidend für die Zukunft unserer Produkte und Dienstleistungen. 80 Prozent der Auswirkungen eines Produkts entstehen im Designprozess. Mit der ersten Linie definiert der Designer Material, Werkzeuge und Funktionen sowie andere Aspekte der Nachhaltigkeit. Es geht um die Frage, ob das Produkt seine Form und Funktion (Daseinsberechtigung) braucht, wie es benutzt werden soll, seine Haltbarkeit und Reparierbarkeit. Wenn wir das Produkt nicht von Anfang an mit Blick auf die Demontage (zirkuläres Design) entwerfen, legen wir am Ende die falschen Prozesse und Materialien fest. Materialorientiertes Design verändert auch die Wahl des Materials und dessen Ausdruck. Wir müssen verstehen, dass wir energieeffizient denken und gestalten! Im Prozess und in der Anwendung. Wir wissen um die Engpässe. Designer können spekulativ denken, entwickeln und iterativ hinterfragen.
Daniela Bohlinger von BMW, Uwe Cremering, CEO von iF Design, und Teun van Wetten von VanBerlo begutachten bei der Jurysitzung des iF DESIGN AWARD 2023 in Berlin Produkte auf ihre nachhaltigen Eigenschaften.
iF: Denken Sie, dass die Nachhaltigkeit bei der Bewertung durch Endkunden und Verbraucher eine größere Rolle spielt?
Teun: Wir sehen mehr und mehr, dass die Verbraucher sich bewusst sind, dass ihre Entscheidungen wichtig sind. Wir können uns jedoch nicht nur auf die Verbraucher und die politischen Entscheidungsträger verlassen, um nachhaltige Entscheidungen zu treffen. Wir Designer müssen uns darauf konzentrieren, wo wir mit unseren Entwürfen den größten Beitrag zu einer positiven Wirkung leisten können.
Daniela: In Zukunft wird der Endverbraucher mit mehr Wissen über die Produkte ausgestattet sein. Es geht nicht nur um die Wahrnehmung und die Wirkung nach außen. Die Kunden werden sich mehr mit dem End-of-Life-Szenario auseinandersetzen müssen. Woher kommt mein Produkt? Wer hat es wo hergestellt? Wohin geht das Produkt? Es werden mehr Etiketten und Produktpässe (z. B. für Textilien, Lebensmittel, Haushaltsgeräte) eingeführt werden. Hier wird der Verbraucher klar in die Pflicht genommen.
iF: Sollte es überhaupt "Standards" im Design geben? Wie könnte das möglich sein?
Teun: Standards, die von den politischen Entscheidungsträgern festgelegt werden, sind entscheidend, um den Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft zu beschleunigen. Diese Standards müssen wissenschaftlich fundiert und untermauert sein. Ein gutes Beispiel sind die Vereinten Nationen (UN) und der Zwischenstaatliche Ausschuss für Klimaänderungen (IPCC). Alle Designer werden mit immer strengeren Vorschriften konfrontiert werden. Meiner Meinung nach ist es unsere Aufgabe als Designer, unsere Kreativität einzusetzen, um die neuen Standards zu erfüllen und gleichzeitig die bestmögliche Erfahrung für die Nutzer unserer Produkte zu gewährleisten. Wir alle müssen einen Weg finden, mit weniger zu leben. Design sollte dafür sorgen, dass sich weniger nicht wie weniger, sondern wie mehr anfühlt.
Daniela: Eindeutig ja! Es braucht mehr Anleitung im Design! Die Do's und Don'ts des Designs unter einer verantwortungsvollen Weltsicht! Hier sind die Hochschulen und Ausbildungsstätten gefordert. Hier kann das Wissen vermittelt werden. Was gutes Design ist, wird heute bei den Awards beurteilt. Hier sehe ich den Beweis für die Inhalte stattfinden. Kann man "gutes Design" ohne die ESG-Standards machen? Ich glaube nicht.
iF: Warum, glauben Sie, profitiert ein Design Award von Nachhaltigkeitsexperten?
Teun : Meiner Meinung nach ist Nachhaltigkeit ein Teil von gutem Design. Wenn Nachhaltigkeit nicht in alle Lebensphasen eines Produkts eingebettet ist und berücksichtigt wird, kann es niemals als "gutes Design" gelten. Nachhaltigkeit ist ein großer Begriff und niemand kann alles wissen. Obwohl die Juroren Experten auf ihrem jeweiligen Gebiet sind und die meisten von ihnen täglich mit Nachhaltigkeit zu tun haben, kann es nicht schaden, einen echten Experten an der Seite zu haben. Die Nachhaltigkeitsexperten können die Juroren dabei unterstützen, ein umfassenderes Verständnis für das/die zu beurteilende(n) Produkt(e) zu erlangen. Darüber hinaus können die Nachhaltigkeitsexperten die iF-Organisation dabei unterstützen, mehr Klarheit darüber zu schaffen, was mit Auswirkungen/Nachhaltigkeit im Bewerbungsverfahren gemeint ist. Und dadurch den Bewerbungen mehr Klarheit darüber verschaffen, was in Bezug auf "nachhaltiges Design" erwartet wird.
Daniela : Wir können heute nicht mehr erwarten, dass jeder ein fundiertes Wissen über das Thema hat, das an sich schon komplex ist. Experten auf diesem Gebiet, die einen Design-Hintergrund haben, sind hier sehr wertvoll. Ich gebe Tipps und zeige neue Perspektiven auf. Wie bewerten Sie ein Produkt, in welche "Hirachie" stufen Sie es ein. Ist die Demontage wichtiger als nachhaltige Materialien? Experten geben die Antworten.
iF: Künftig wird iF Design von den Teilnehmern des iF DESIGN AWARD detailliertere Informationen über die Auswirkungen/Nachhaltigkeit anfordern und diese den Juroren zur Bewertung der Produkte zur Verfügung stellen. Glauben Sie, dass dies der richtige Weg ist?
Teun: Nachhaltigkeit ist ein Begriff, der zu groß geworden ist und deshalb an Klarheit verloren hat. Außerdem können die Auswirkungen in den verschiedenen Kategorien der iF Awards sehr unterschiedlich sein. Ich glaube, dass es die Aufgabe von iF ist, den Teilnehmern und Juroren eine Orientierungshilfe zu geben. Darüber hinaus glaube ich, dass iF ein Katalysator sein kann, um die positive Wirkung der gesamten "Designindustrie" zu steigern. Wenn iF klare Standards vorgibt und Designer dabei unterstützt, ein höheres Maß an Nachhaltigkeit in ihren Bewerbungen zu erreichen und nachzuweisen, werden Designer, die einen iF DESIGN AWARD gewinnen wollen, in die Lage versetzt, in ihrem Prozess bessere Entscheidungen zu treffen, die zu besseren nachhaltigen Designs führen.
Daniela: Wenn die Jury die Nachhaltigkeit als Kriterium abfragt, sind die Hersteller und ihre Designer motiviert, sie zu präsentieren. Wir schärfen sozusagen die Kriterien und helfen dabei, bessere, nachhaltigere und verantwortungsvollere Produkte und Dienstleistungen zu entwickeln. Ich denke, iF Design hat hier eine der größten Reichweiten.
Luxemburgs Vize-Premierminister über Nachhaltigkeit
Während der iF DESIGN AWARD Night 2023 in Berlin sprachen wir mit dem luxemburgischen Vize-Premierminister Francois Bausch - der zur Unterstützung der iF DESIGN AWARD 2023 Preisträger Sensity sàrl aus Luxemburg vor Ort war - über das Thema Nachhaltigkeit. Sehen Sie sich sein Videostatement an!