Lesezeit: 5 min | Nov. 2023

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Interviews

Industriedesigner Christoph Böninger: Pionier des Laptop-Designs

Chai Latte schlürfend im Café sitzen und ein paar Emails versenden oder am nächsten Kapitel pfeilen - davon hatte 1982 noch kein Mensch eine Idee. Ein Student aus München, dachte allerdings viel über unsere Zukunft des Arbeitens nach. Heute gilt er als "Vater des Laptops": Christoph Böninger.

Einige Jahre bevor Macintosh seinen ersten tragbaren Computer - den Macintosh Portable - auf den Markt brachte und bevor andere erste offizielle "Laptops" auf den Markt kamen, wie z.B. der GRID im Jahr 1983, reichte iF DESIGN AWARD Juror und iF Design Foundation Vorsitzender Christoph Böninger seine so genannten "Laptop-Studien" in seiner Diplomarbeit an der Hochschule für angewandte Wissenschaften in München ein. Viele halten den Industriedesigner für den "Vater des Laptops". Lesen Sie hier, warum er das nicht mehr ganz so sieht, welche Verantwortung ein Designer hat und wie er schließlich zum Möbeldesign kam.

Christoph Böninger

Christoph Böninger

Christoph Böninger studierte Industriedesign in München und am Art Center in Los Angeles. 1985 wechselte Böninger zu Siemens nach New York und baute die Designabteilung in den USA auf. 12 Jahre später war er maßgeblich an der Ausgliederung der zentralen Siemens-Designabteilung beteiligt, die unter dem Namen designaffairs neu organisiert wurde. Böninger trat in die Geschäftsführung ein und übernahm 2001 für sechs Jahre selbst die Leitung. Nach 20 Jahren als Designmanager und Geschäftsführer gründete er 2010 den Möbelhersteller AUERBERG, dessen Möbelentwürfe in die ständige Sammlung der Neuen Sammlung, der Pinakothek der Moderne München und anderer Museen aufgenommen wurden. Von 2005 bis 2020 war er stellvertretender Vorsitzender der Haniel Stiftung und 2005 auch Herausgeber des preisgekrönten Buches form:ethik. Seit 2015 ist er Kurator an der Fachhochschule Burg Giebichenstein in Halle an der Saale und seit 2018 Vorsitzender der iF Design Foundation.

Christoph Böninger
Das Projekt war also eine Extrapolation verschiedener vorhersehbarer Entwicklungen, und damals dachte ich tatsächlich, ich hätte den ersten Laptop entworfen. Das hat sich später relativiert.

iF: Christoph, deine studentische Abschlussarbeit 1982 hat die Computerwelt revolutioniert. Du wirst auch in gewisser Weise Erfinder, und oft auch „Vater des Laptops“ genannt. Siehst du dich auch so und was war da genau los 1982?

Christoph Böninger: Ich wollte für meine damalige Diplomarbeit zu einem relevanten Thema eine Designstudie entwickeln und hier bot sich das Thema „mobile computing“ an, denn die UNO hatte das Jahr 1983 zum „World Communication Year 1983“ ausgerufen. Aus meiner Perspektive war der „Grid“ von IDEO-Gründer Bill Moggridge 1983 der erste echte Laptop. Dieser wurde zeitgleich zu meiner Studie 1982 entwickelt, das Thema „mobile computing“ lag damals in der Luft.

iF: Warum hast du dich damals gerade diesem Thema gewidmet? Was war deine Motivation?

CB: Erste PC’s zogen damals in die Bürowelt ein. Und es war vorhersehbar, dass die einzelnen Hardware-Komponenten immer kompakter werden würden bei gleichzeitiger Steigerung Rechenleistung der Chips. Das Projekt war also eine Extrapolation verschiedener vorhersehbarer Entwicklungen und damals glaubte ich tatsächlich, den ersten Laptop entworfen zu haben. Das hat sich später relativiert.

Christoph Böninger
"Ich glaube, dass der Laptop perspektivisch ausstirbt, weil die Tastatur durch Spracheingabe und KI zunehmend obsolet wird."

iF: Wenn Du dir Laptop-Studien und moderne Laptops anschaust, wie viel von deinen ursprünglichen Ideen und Ansätzen erkennst du wieder? Und wo siehst du vielleicht noch Verbesserungspotenzial?

CB: Ziemlich viel: großer Bildschirm, Volltastatur, Speichermedien und die Möglichkeit der Kommunikation, damals noch über Telefonmodem, weil es noch kein Internet gab. Ich dachte noch weiter: Wenn der Computer das Büro und damit den Aktenordner ablöst, wird der Laptop zum Hauptgerät - unterwegs und im Büro. Ich hatte daher ein herausnehmbares Aktenfach für den Laptop entworfen, das die klassische Aktentasche ersetzen sollte.

Computer-Koffer: IBM PS/2 Modell P70 386, 1990

Bei iF Design wird Designgeschichte geschrieben! Auch die ersten Laptops wurden mit einem iF DESIGN AWARD ausgezeichnet. Wir haben tief in unseren Archiven gekramt und der erste - nicht gerade klassische - Laptop, sondern "tragbare Computer" war - wortwörtlich - ein schwerer Koffer. Das IBM PS/2 Modell P70 386 wurde 1990 ausgezeichnet. Das IBM PS/2 Modell P70 wurde von Mai 1989 (einige Quellen schreiben fehlerhafterweise von "1987") bis Juli 1991 produziert.

iF: Hast du damals schon geahnt, dass wir in einer so digitalisierten Welt leben und jeder einen kleinen Mini-PC mit sich herumtragen würde?

CB: Ich bin schon 1982 davon ausgegangen, dass unser Berufsleben von Computern dominiert werden würde, aber das Internet und Voice over IP waren damals noch kein Thema.

iF: Heute sind Laptops unverzichtbar. Vor allem nach der Pandemie und mit der Zunahme der Telearbeit. Wie siehst du die Zukunft des mobilen Arbeitens und die Rolle der Designer dabei?

CB: Ich sehe die Aufgabe und Verantwortung von Designern heute darin, Arbeits- und Lebenswelten zu schaffen, die gesellschaftlichen Entwicklungen wie der zunehmenden Vereinsamung entgegenwirken. Mobiles Arbeiten ist gut, aber leider hat uns die Pandemie auch gezeigt, wohin das führen kann. Ich glaube, dass der Laptop in Zukunft aussterben wird, weil die Tastatur durch Spracheingabe und KI zunehmend obsolet wird.

iF: Du hast nebenbei immer Möbel entworfen und hast dann dein eigenes Label AUERBERG gegründet. Kannst du beschreiben, warum Möbeldesign für dich ein notwendiger Ausgleich war?

CB: Das Design von Möbeln als Gegenpol zum Design von Informations- und Kommunikationsprodukten war mir schon immer wichtig. Als AUERBERG 2009 gegründet wurde, war es der Gegenentwurf zu einem marketingorientierten Geschäftsmodell, daher unser Claim "radikal subjektiv". Inspiriert hat mich damals auch mein Freund Michele de Lucchi mit seinem Konzept der "Produzione Privata".

"Ich habe Schwierigkeiten beim Begriff „Innovation“. Wenn wir es aber durch „Fortschritt“ ersetzen, dann kommt eine ethische Komponente hinzu und hier sind Designer in der Verantwortung."

iF: Es gibt eine gewisse "Sättigung" an Produkten in der Welt - würden Sie sagen, dass es für Designer heute schwieriger ist, echte Innovationen zu schaffen?

CB: Ich habe Schwierigkeiten mit dem Begriff "Innovation". Aber wenn wir "Innovation" durch "Fortschritt" ersetzen, dann kommt eine ethische Komponente hinzu, und hier liegt die Verantwortung der Designer.

iF: Sie sind seit 2018 Vorsitzender der iF Design Foundation. Ihre Diplomarbeit im Jahr 1982 war der Startschuss für Ihre Karriere. Ist es Ihnen deshalb so wichtig, sich um die Optimierung der Designausbildung der nächsten Generation zu kümmern?

CB: In den letzten 40 Jahren habe ich Entwicklungen im Designberuf miterlebt, die aus heutiger Sicht nicht nur positiv waren, wie zum Beispiel die hundertprozentige Fixierung der Designer auf den wirtschaftlichen Mehrwert unserer Arbeit für unsere Kunden. Design war und muss wieder mehr sein: eine Tätigkeit, die sich am Gemeinwohl der Gesellschaft, am Public Value orientiert. Um dies zu erreichen, muss jedoch die Ausbildung der Studierenden reformiert werden, und hier setzt die iF Design Foundation an. Im Jahr 2025 werden wir die Bausteine eines zukünftigen Lehrplans als Buch veröffentlichen.

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